Tammo Wende

Für mein erstes Fotoprojekt hab ich vor vielen Jahren auch schon eine Person von der RosaLinde fotografiert, deswegen freute ich mich umso mehr, als mich Tammo anschrieb. Die RosaLinde ist ein Verein für queere Begegnung, Bildung und Beratung. Die Angebote richten sich vor allem an lesbische, schwule, bisexuelle, trans*- und intergeschlechtliche, sowie queere und asexuelle/ aromantische Personen. Mit Tammo ging ich eine Runde durch den Friedenspark, wir sprachen über seine Geschichte, über fehlendes Fördergeld und die Angst vor der Landtagswahl 2019. Aber lest selbst: 

Wo bist du aktiv und wofür engagierst du dich?

Ich arbeite seit August 2009 in der RosaLinde in Leipzig, einem Verein, der sich seit Ende der 80er Jahre gegen Diskriminierung von Menschen, die sich lesbisch, schwul, bisexuell, asexuelle, nicht-binär und/oder trans*- oder intergeschlechtlich identifizieren, einsetzt. Wir haben mittlerweile verschiedene Arbeitsbereiche unter unserem Dach.

Das Antidiskriminierungssprojekt „liebe bekennt farbe!“ ist ein Teil der Bildungsarbeit, die wir leisten. Im Rahmen des Projekts schulen wir junge Erwachsene, die dann in Schulklassen gehen und methodisch aber auch über das persönliche Gespräch die Möglichkeit bieten sich mit Themen wie sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität auseinanderzusetzen. Zentral ist dabei, dass die Ehrenamtlichen mit ihrer eigenen Biografie zur „Verfügung“ stehen, das heißt, dass sie selbst zum Beispiel schwul, lesbisch, bi* und/oder transgeschlechtlich sind und über ihr Coming-Out und ihre Erfahrungen damit berichten. Das schafft einen Zugang zu den Schüler*innen und hilft Vorurteile abzubauen.

Ein weiteres Projekt bei uns ist das „queer refugees network leipzig“. Meine Kolleg*innen unterstützen dort u.a. schwule, lesbische, trans* und inter* Geflüchtete bei ihren Asylprozessen aber auch häufig in traumabedingten Krisensituationen.

Neben der Bildungsarbeit bieten wir auch Beratung in Leipzig und im Leipziger Umland an. Auf meine Beratungstätigkeit gehe ich gleich weiter unten noch näher ein. Mir ist es wichtig die Relevanz des Projektes „Qu(e)er durch Sachsen“ zu erwähnen. Mit dem Beratungsangebot in den angrenzenden Landkreisen kann eine Versorgungslücke für die Personen geschlossen werden, die es sich nicht leisten können jedes mal für ein Beratungsgespräch in die Stadt zu fahren.

Abschließend bleibt noch zu sagen, dass die RosaLinde auch ein Ort der Begegnung ist. Unter unserem Dach treffen sich ca. 15 Gruppen zu den unterschiedlichsten Themen. Wir haben zum Beispiel eine trans* und inter* Jugendgruppe, eine Gruppe für asexuelle Menschen und eine Gruppe für Menschen mit nicht-binären Geschlechtsidentitäten. Das alles sind Inhalte, für die ich einstehe und für die ich mich einsetze.

Was sind deine Aufgaben?

Ich bin für die psychosoziale Beratung im Verein zuständig, d.h. ich unterstütze queere Menschen unter anderem bei ihren Coming-outs und bei rechtlichen, medizinischen aber auch (psycho-)sozialen Themen. Gerade bei trans*Menschen, d.h. Personen, die nach der Geburt als Junge oder Mädchen definiert wurden, bei denen sich aber ein anderes Geschlechtsempfinden herausstellt, kommen viele Fragen bezüglichen ihrer Transition. Wie sage ich es meinen Eltern, meine*r Partner*in, meiner Arbeitgeber*in? Möchte ich Hormone und wenn ja, wo bekomme ich die her? Wie funktioniert das mit der Namensänderung? Die Liste mit Fragen ist lang und immer wieder kommen sehr komplexe Fälle auf meinen Tisch. Leider lassen sich nicht immer gute Lösungen finden, weil z.B. die Gesundheitsversorgung in Deutschland und speziell in Leipzig ziemlich große Lücken aufweist. Nur einige wenige Ärzt*innen und Therapeut*innen sind trans*sensibel und deshalb völlig überlaufen. Manchmal geht es in den Beratungen auch ausschließlich um Empowerment. Dann melde ich den Ratsuchenden zurück, dass sie liebenswerte Menschen sind, mit all dem, was sie mitbringen. Das klingt banal, aber es ist nicht zu unterschätzen, was es mit Menschen macht, wenn sie ihr Leben lang erfahren, ob direkt oder indirekt, dass sie nicht okay sind.

Wofür kämpfst du?

Ich setze mich für mehr Gleichberechtigung aller sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten ein. Ich kämpfe für mehr Rücksicht, ein Aufeinanderachten und ein besseres Aushalten der Unterschiedlichkeit des*der Anderen. Viele Menschen machen auf Grund ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität mitunter massive Leid- und Diskriminierungserfahrungen, die ihre psychische und physische Gesundheit stark beeinträchtigen können. Das beginnt im Alltag, mit Blicken und beleidigenden Sprüchen oder körperlichen Übergriffen, wenn z.B. zwei Männer händchenhaltend zur ‚falschen Zeit am falschen Ort‘ sind oder wenn eine trans* Frau von der Damentoilette verwiesen wird oder einfach nur als trans* Frau sichtbar (ob gewollt oder ungewollt) ist. Allein eine Irritation der Sehgewohnheiten kann zu aggressivem Verhalten führen. Für trans* Menschen, die ihren Namen noch nicht offiziell geändert haben, ist jeder Postbesuch und Buchung eines Zugtickets, Fluges oder Hotelzimmers eine Herausforderung, weil es immer sein könnte, dass sie sich erklären müssen und im Zweifel ihr Päckchen oder das Zimmer nicht bekommen. Besonders schwerwiegend wird es, wenn die Herkunftsfamilien die geschlechtlich Identität oder sexuelle Orientierung ablehnen. Der Kampf um Anerkennung als liebenswerte Person dauert häufig über Jahre an, wenn er überhaupt je endet. Ich kenne Geschichten, bei denen es die Eltern auch Jahre nach der Transition ihres Kindes, es nicht fertig bringen, dieses mit dem entsprechenden Namen und Pronomen anzusprechen oder nie die Partnerin/Ehefrau ihrer Tochter zum Familienfeier einzuladen. Die Ignoranz der eigenen Eltern zu erleben ist sehr schmerzhaft und kann zu tiefgreifenden psychischen Problemen führen, gerade wenn die Betroffenen noch sehr jung sind.

Die Diskriminierung hört auch oft nicht beim Elternhaus auf. Schule, Arbeitsplatz und Freundeskreise sind Orte, wo die Gefahr hoch ist weiterhin Ausgrenzungserfahrungen zu machen. Nicht selten haben die Menschen, die zu mir in die Beratung kommen keinen positivene Bezug zu sich selbst und ihrer sexuellen Identität. Sie haben die Ablehnung, die ihnen über Jahren entgegengebracht wurde verinnerlicht, man spricht hier von internalisierter Trans*- oder Homonegativität.

Ich kämpfe für eine gesellschaftliche Veränderung, Sichtbarkeit und Akzeptanz, die diese Situationen und Erfahrungen reduziert und minimiert. Oft habe ich diesbezüglich eine vermittelnde Rolle. Ich versuche Brücken zu schlagen und verschiedene Positionen, die scheinbar widersprüchlich sind, zusammenzubringen. Das gelingt natürlich nur, wenn alle Beteiligten auch eine Bereitschaft mitbringen sich mindestens zuzuhören. Es gibt aber natürlich Grenzen der Vereinbarkeit. Sind Moral- und/oder Wertvorstellungen bzw. Weltanschauungen zu unterschiedlich, gibt es keine Anknüpfungspunkte, dann kann auch kein Dialog, kein Austausch stattfinden. In diesen Fällen beziehe ich eine klare Position, die beinhaltet, mich für … einzusetzen. Das ist nicht immer einfach aber eben auch nie langweilig. Es hat sich vieles getan und verbessert, doch trotzdem haben wir auch 2019 noch sehr viel zu tun und eine tatsächliche Gleichberechtigung ist nach wie vor nicht in Sicht.

Wann hat dein Kampf begonnen?

Politisiert habe ich mich (erst) nach meinem ersten Studium 2008, mit Mitte zwanzig. Klar waren so grundlegende Haltungen, wie Nazis sind kacke und Rassismus stinkt, in meiner Jugend irgendwie da aber eine Politisierung von Begehren oder geschlechtlicher Identität, eine theoretische Auseinandersetzung, hat zu dem Zeitpunkt für mich noch keine tragende Rolle gespielt. Was schon auch witzig ist, weil ich seit meinem 15. Lebensjahr in einem Dorf in Sachsen-Anhalt offen lesbisch lebte, ohne das Wort lesbisch in den Mund genommen zu haben. Man könnte sagen, ich habe Lesbisch-Sein als politische Alltagspraxis ausgeübt, indem ich es gelebt habe aber mir fehlte, wie gesagt, die Theorie dazu. Die habe ich dann nach nachgeholt, als ich 2008 nach meinem ersten Studium nach Halle gezogen bin und über die Vortragsreihe „queer einsteigen“ einen ersten Zugang fand. Diese inhaltliche Auseinandersetzung war gar nicht nur angenehm, es ist schon beklemmend zu bemerken, wie sehr unserer Gesellschaft über Ausgrenzung und Ungleichheit funktioniert.

So ist mir zum Beispiel auch klar geworden, dass es kein Zufall war, warum ich den Begriff ‚lesbisch’ oder ‚Lesbe’ als Jugendliche*r nicht für
mich verwendet habe. Ich hatte verinnerlicht, dass das was schlechtes war. Ich hatte, wie eben die meisten Menschen auch, Vorurteile und stereotype Vorstellungen davon, was eine Lesbe ausmacht und das hatte nichts mit mir zu tun. Ich hab mich sozusagen selbst abgewertet. Der Zugang zu feministischer und queerer Theorie hat mir sehr dabei geholfen mich zu emanzipieren. Insgesamt war diese Zeit oder vielmehr der Prozess, der immer noch andauert, für mich auch wie eine Offenbarung. Ich habe, allein dadurch, dass ich erfahren habe, dass es nicht nur Männer und Frauen gibt, sondern eben noch viele andere geschlechtliche Identitäten, sehr viel über mich und wer ich eigentlich bin, gelernt.

Welches Ereignis hat dich am meisten geprägt?

Menschen durch Tod oder Trennungen zu verlieren waren für mich sehr einschneidende Erfahrungen, die mich immer wieder beschäftigen und Spuren hinterlassen haben. Neben all den schmerzhaften Gefühlen, die solche Ereignisse mit sich bringen, haben sie aber auch etwas konstruktives für mich. Ich würde nicht soweit gehen und jeder*m empfehlen, mal ordentlich verlassen zu werden. Auf gar keinen Fall. Dennoch habe ich in diesen Situationen eine Menge über mich gelernt.

Ein weiteres prägendes Ereignis war und ist mein Coming-Out als nicht-binärer trans* Mann. Es ist so aufregend, zu erleben, wie sich mein Körper verändert und wie ich von meiner Umwelt gelesen werde, welche Türen sich öffnen und welche sich aber auch schließen. Ich merke das zum Beispiel daran, dass manche Sätze mittlerweile anders bewertet werden. Was früher emanzipatorisch verstanden wurde, kann heute nur noch mackerig rüberkommen. Es macht eben einen Unterschied, ob ich einen Satz als Lesbe sage oder als männlich gelesene Person. Da muss ich aufpassen. Die Fragen nach „Wer bin ich?“ und wie kann ich mich zeigen, ohne Anteile zu verbergen, waren für mich nie relevanter als jetzt. Um es mal greifbarer zu formulieren: Wenn man mich sieht, denkt man mit hoher Wahrscheinlichkeit „ah, ein Mann“. Das ist super so, denn so will ich auch anteilig verstanden werden. Gleichzeitig ist aber immer auch ein Anteil unsichtbar. Ich habe mich 15 Jahre als Lesbe begriffen und mir diese Identität erkämpft.

Darauf will ich nicht verzichten müssen. Aber es leuchtet mir eben auch ein, dass mein Gegenüber das nicht sehen kann. Wie geht das also mit der Sichtbarkeit? Welche Begriffe passen überhaupt noch? Wo ist mein Platz in der Community und in der Gesellschaft? Das sind alles Fragen, die mich persönlich beschäftigen, die aber auch sehr oft Beratungsinhalte sind.

Was würdest du an der aktuellen Situation ändern wollen?

Wenn ich könnte, würde ich an erster Stelle Einfluss gegen das Erstarken der konservativen, rechten Strömungen nehmen wollen. Diese Entwicklungen machen mir und all meine Kolleg*innen Angst. Unsere Arbeit und viele der über Jahre aufgebauten Unterstützungsstrukturen in Leipzig und Sachsen sind bedroht. Wir schauen mit großer Sorge auf die Landtagswahlen im September. Ein weiterer Punkt, den ich ändern würde, bezieht sich ebenfalls auf meine Arbeit und ganz konkret auf die Förderstrukturen, auf die wir angewiesen sind. Jedes Jahr müssen wir Anträge stellen, nie kommt das Geld pünktlich.

Immer wieder werden Förderrichtlinien zu unserem Nachteil verändert, was dazu führt, dass wir immer mehr Kapazitäten in Bürokratiearbeit stecken müssen, die am Ende bei der inhaltlichen Arbeit fehlen.

Das betrifft nicht nur uns, sondern im Grunde alle Vereine und Institutionen, die von staatlichen Förderungen abhängig sind. Gerade die Fördertöpfe auf Landesebene sind besonders prekär. Dabei ist der Bedarf so hoch wie nie zuvor. Wir werden von Anfragen, ob Beratungsanfragen oder Schulprojekt- bzw. Fortbildungsanfragen geradezu überrollt und können schon länger nicht mehr alles bedienen.

Dieser Umstand frustriert mich zunehmend, weil es ein strukturelles Problemist und keine*r Verantwortung übernehmen will bzw. erlebe ich keinen ernstzunehmenden .Änderungswunsch auf Fördermittelgeber*innenseite.

Welche Menschen / Einzelpersonen bewunderst du?

Meine Mutter beeindruckt mich. Ich halte sie für eine tolle, unabhängige Frau, die weiß, was sie will und dafür sorgt, dass sie es kriegt. Sie ist immer in Bewegung, das imponiert mir sehr und manchmal überfordert es mich auch ein wenig. Sie hat mir viel an Stärke, Antrieb und Selbstbewusstsein mitgegeben. Ich weiß das sehr zu schätzen.

Des Weiteren finde Marsha P. Johnson eine außergewöhnliche Person. Sie war eine der Aktivist*innen, die 1969 in New York in der Christopher Street an den Stonewall-Unruhen beteiligt war. Die Geschichtsschreibung zu den Christopher Street Days, die mittlerweile fast überall auf der Welt stattfinden, um an diese emanzipatorischen Kämpfe von Lesben, Schwulen, Bisexuellen aber auch trans* Personen zu erinnern, ist (zu) lange damit ausgekommen, die relevanten Figuren auszusparen, weil diese vermeintlich zu verrucht waren. (Und wieder geht es um Sichtbarkeit.) Marsha P. Johnson war eine schwarze Drag Queen und Sexarbeiter*in. Ich kann die Dokumentation über sie auf Netflix sehr empfehlen.

Was ist dein aktuelles Lieblingslied?

Ich liebe Björk, da kann ich mich unmöglich für einen Song entscheiden.

Sorry.

(Einen Song von Björk, findet ihr in der „herzkampf“-Playlist bei Spotify)

Wenn ich dir 5000€ schenke und du müsstest das Geld spenden, wohin würdest du es aktuell spenden?

Da bin ich leider etwas befangen… Ich würde das Geld der RosaLinde spenden. Wir beziehen bald neue Räumlichkeiten. Da wird jeder Cent gebraucht und insgesamt sind wir trotz Fördermitteln immer auch auf Spenden angewiesen, weil man für die einzelnen Projekte immer einen gewissen Eigenanteil erwirtschaften muss.

Gibt es Links oder Texte wo man sich näher über dich oder deine Institution informieren kann?

Ort der Aufnahme: Friedenspark, Leipzig

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