Marie Müser

Als Leipziger lernt man heutzutage nur noch selten andere Leipziger*innen kennen. Doch wenn ich dann auch noch jemanden aus dem Leipziger Norden treffe, bin ich gleich begeistert. Marie ist im Leipziger Norden aufgewachsen, genau wie ich. Wir haben unsere Jugend an denselben Orten verbracht (nur zu unterschiedlichen Zeiten) und hatten dadurch natürlich eine Menge Gesprächsstoff. Natürlich mussten dann auch diese Herzkampf-Bilder im Norden entstehen. Seit ihrer Schulzeit engagiert sich Marie gegen Rechtsextremismus. Aber lest mal selbst:

Wo bist du aktiv und wofür engagierst du dich?

Ich bin seit Mai letzten Jahres Landesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Sachsen und kämpfe dazu seit mittlerweile schon einigen Jahren in Sachsen gegen Rechtsextremismus und für unsere offene Gesellschaft.

Wofür kämpfst du?

Dass meine Westverwandtschaft bei Sachsen und dem Osten nicht mehr sofort an Nazis und Demokratiefeinde denkt. Sachsen hat so viel mehr zu bieten: von einer aktiven Zivilgesellschaft und kleinen außergewöhnlichen Startups, bis hin zu jungen Artists in der Lausitz, die sich zu Strukturwandel-Themen äußern und diese Themen für die junge Generation greifbar machen.

Gewisse Stereotype halten sich noch immer, weil sie auch nicht immer ganz von der Hand zu weisen sind. Aber gerade deswegen ist es für mich so wichtig, dass wir hier in Sachsen eine starke und mutige Zivilgesellschaft haben. Eine Zivilgesellschaft, die genau das abbildet, was Sachsen eben auch ist: Solidarität, Mut und Kreativität. Dazu zählen auch die Menschen, die sich immer wieder gegenseitig ermutigen und bestärken in dem Kampf für unsere offene Gesellschaft.

Ich kämpfe also nicht nur als Einzelperson für unsere offene Gesellschaft, sondern viel stärker noch für ein Umfeld, das Engagement fördert und Menschen ermutigt. Für mich ist ziemlich klar, dass eine positivere Außenwahrnehmung des Ostens und Sachsens uneingeschränkt mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus verknüpft ist und auch sein muss, weil es hier einfach noch viel zu tun gibt. Zugleich merke ich auch, dass sich in den letzten Jahren Einiges bewegt hat, das gibt Kraft.

Wann hat dein Kampf begonnen?


Angefangen hat das alles in der 11. Klasse auf meinem Gymnasium in Leipzig, als wir begonnen haben, Gruppen zusammenzutrommeln, um gegen die Nazis von Pegida, Legida und wie sie alle heißen, zu demonstrieren. Die Aufmärsche waren für mich zu diesem Zeitpunkt eine bittere Überraschung. Aufgewachsen in Gohlis, mit den Schulfreundinnen und Freunden in einer Straße wohnend, war Rechtsextremismus immer irgendwie etwas Abstraktes.

Eine Gefahr, die selbstverständlich besteht, das weiß man auch als Teenager – aber es war irgendwie nicht richtig greifbar. Das plötzliche Aufkommen von Pegida und dem Leipziger Ableger Legida und die so große Sichtbarkeit und Schlagkraft, die von dieser Gruppe ausging, hat mich damals wachgerüttelt. Wir waren zu der Zeit als Heranwachsende allesamt politisch noch sehr unerfahren, aber hatten einen Lehrer, für den es ein wesentlicher Baustein unserer demokratischen Bildung ist, rechtsextremen Demokratiefeinden entschieden zu widersprechen.

Ich erinnere mich noch zu gut, wie wir im Deutschunterricht über Hannah Arendts „Banalität des Bösen“ sprachen und den Zusammenhang zu den rechtsextremen Aufmärschen 2014/15 herstellten. Dadurch habe ich relativ früh verstanden, was Verantwortung in einer Demokratie bedeutet und dass auch wir als kleine Gruppe, als Jugendliche, verdammt nochmal eine Mitverantwortung dafür tragen, dass Nazis mit den übelsten fremdenfeindlichen Parolen nicht unwidersprochen durch Dresden spazieren oder um den Leipziger Innenstadtring laufen können.

Welches Ereignis hat dich am meisten geprägt?

Ein Vorfall aus Borna im Landkreis Leipzig wird mich niemals loslassen. Ich war 2017 ehrenamtlich in einem Projekt zur Unterstützung geflüchteter Menschen auf dem deutschen Arbeitsmarkt aktiv. Das Projekt konzentrierte sich auf den Landkreis Leipzig. Eine sogenannte Willkommenskultur, die in Leipzig (zumindest in recht weiten Teilen) zu spüren war, ließ im Landkreis stark zu wünschen übrig.

Ich traf auf eine junge Frau aus Afghanistan, die sich ebenso ehrenamtlich in dem Projekt engagierte. Sie ist mit ihrer Familie geflohen und begann gerade ihre Ausbildung. Als ich auf sie traf, brach sie zusammen. Im Bus wurde sie rassistisch beleidigt, getreten, aus dem Bus geschubst. In dem Bus saßen Menschen, niemand reagierte oder eilte zur Hilfe. Dass geflüchtete Menschen in Deutschland, in Sachsen, eine solche Hilflosigkeit und Ohnmacht erfahren müssen, ist bestürzend. Es ist unsere Pflicht und Aufgabe zu widersprechen, einzugreifen, Haltung zu zeigen – jeden einzelnen Tag.

Ich sehe das besonders auch als meine Verantwortung als Politikerin, ebenso wie es Verantwortung aller Vertreter demokratischer Parteien in Deutschland sein muss.

Was würdest du an der aktuellen Situation ändern wollen?

Vieles. Als politisch aktiver Mensch kennst du die Perspektive der Aktivistinnen und Aktivisten, die in Sachsen und den Neuen Bundesländern für unsere offene Gesellschaft kämpfen. Die sich in Teilen persönlich in Gefahr begeben, um Rechtsextremen etwas entgegenzusetzen. Als Politikerin lernst du dazu noch viel über die Perspektiven der aktiven Menschen in den Klein- und Mittelstädten und den ländlichen Räumen. Es macht viel mit Dir, wenn jahrelang innerhalb der eigenen Partei, aber auch darüber hinaus aktive Menschen in Pirna regelmäßigen Angriffen und Bedrohungen ausgesetzt sind, wenn in Nordsachsen Scheiben von Bürgerbüros eingeschlagen werden oder es – wie kürzlich erst in Dresden – zu körperlichen Angriffen an Wahlkampfständen kommt.

In Leipzig, Dresden und auch in Chemnitz bist du aber weniger allein, du hast ein Netzwerk aus Menschen und eine aktive Zivilgesellschaft, die Nazis die rote Karte zeigt. Jenseits der größeren Städte ist das anders. Es sind viel zu häufig noch Einzelkämpfer, die Haltung haben und viel in den ländlichen Regionen bewegen wollen, häufig aber das Gefühl haben, in ihrem Kampf auch von der Politik allein gelassen zu werden. Ich möchte meinen Teil beitragen, diese Umstände zu ändern. Ich möchte, dass wir irgendwann nicht mehr von Einzelkämpfern sprechen müssen.

Welche Menschen / Einzelpersonen bewunderst du?

Über diese Frage habe ich ehrlicherweise lange nachgedacht. Mir sind so viele Menschen in den Kopf geschossen, dass jede Festlegung hier nahezu willkürlich wäre. Dafür haben wir in Sachsen und darüber hinaus zu viele bewundernswerte Menschen.

Was ist dein aktuelles Lieblingslied?

Schon lange eines der liebsten: Angel Down (Work Tape) – Lady Gaga.

(Diesen Song findet ihr in der „herzkampf“-Playlist bei Spotify)

Wenn ich dir 5000€ schenke und du müsstest das Geld spenden, wohin würdest du es aktuell spenden?

Gibt es Links oder Texte wo man sich näher über dich oder deine Institution informieren kann?

Ort der Aufnahme: Lützowstraße, Leipzig

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