Martin Wunderlich

Martin arbeitet in Dresden bei der Initiative „LAG Queeres Netzwerk Sachsen“ und übernimmt dort die Öffentlichkeitsarbeit. Die Vernetzung verschiedener Organisationen und diese unter einem Dachverband zu vereinen ist sehr wichtig, da man dadurch mit einer „größeren Stimme“ sprechen kann. Das Netzwerk verzeichnet derzeit 17 Mitglieder. Was Martin im Alltag erlebt und welche Ansichten er teilt, könnt ihr jetzt nachlesen:

Wo bist du aktiv und wofür engagierst du dich?

Ich arbeite seit Oktober 2016 für die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Queeres Netzwerk Sachsen. Das ist der Dachverband der sächsischen Interessenvertretungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, trans*- und inter*geschlechtlichen sowie queeren (LSBTTIQ*) Menschen im Freistaat. Gemeinsam mit meinen beiden Kolleginnen bin ich in unserer Dresdner Fachstelle tätig und zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Genauso wie meine vielen Netzwerkkolleg*innen und Mitglieder unseres Dachverbands setze ich mich für die Gleichberechtigung, Gleichwertigkeit und gleichberechtigte Teilhabe von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in unserer Gesellschaft ein. Oder um es mit unserem Motto zu sagen: Für Respekt, Akzeptanz und Vielfalt.

Was sind deine Aufgaben?

Wie schon gesagt, ich bin für die klassische Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Als so eine Art Ein-Mann-Grafikabteilung gestalte ich aber auch all unsere Flyer, Plakate, Merch usw. Das Bespielen von Social Media und Homepage gehört natürlich auch dazu. Ansonsten habe ich aber auch in unserem Tagesgeschäft immer mal mit die Finger im Spiel, bei Veranstaltungen aller Art, Vorträgen, Workshops. Und wann immer es irgendwo Demos oder Kundgebungen gibt, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass ich dabei bin und kämpferische Reden halte (lacht).

Wofür kämpfst du?

Für nicht weniger als eine diskriminierungsfreie Gesellschaft. Das ist natürlich utopisch, womit der Kampf ja auch nie aufhören wird. Aber mit nicht weniger als diesem Ziel gebe ich mich zufrieden. Dahinter verbergen sich auch die Erkenntnis und das Wissen um all die Ungerechtigkeiten, all die Ausschlüsse, Diskriminierungen und Abwertungen, die in unserer Gesellschaft fest verankert sind und auch reproduziert werden.

Das betrifft nun mal noch immer LSBTTIQ* und das ganz besonders in Sachsen. Die sächsische Gesellschaft ist mehrheitlich wertkonservativ geprägt, um es mal vorsichtig auszudrücken. Wenn z.B. bei der letzten Landtagswahl im Herbst 2019 Zweidrittel konservativ bis rechts gewählt haben, dann ist das auch Ausdruck der harten Realität, die es queeren Menschen in Sachsen und ihren Angehörigen bisweilen sehr schwer macht. Daher kämpfe ich natürlich auch dafür, die Lebensqualität queerer Menschen hier zu verbessern.

Wann hat dein Kampf begonnen?

Das ist nicht leicht zu beantworten. Um ehrlich zu sein fing es damit an, dass ich mich selbst bekämpft habe. Ich bin in einer Kleinstadt im Erzgebirge aufgewachsen. In meiner frühen Jugend war vom Internet als Ort, wo man sich mit Infos versorgt und Leute kennenlernt, noch nicht wirklich zu reden. Und wenn du in einer zweigeschlechtlich dominierten heteronormativen Gesellschaft aufwächst und in der Pubertät mehr und mehr merkst, dass du dem nicht entsprichst, dann führen die Verhältnisse dazu, dass du ziemlich viel mit dir selbst zu kämpfen hast. So ging es mir.

Erst nachdem ich nach vielen Jahren meinen Selbstfindungsprozess abgeschlossen hatte, mit mir im Reinen war, durch Ausbildung und Studium mehr Wissen und Perspektiven erhalten habe, konnte ich den Kampf gegen diese gesellschaftlichen Verhältnisse aufnehmen. Ich war zwar schon immer politisch interessiert. Aber erst in den letzten fünf, sechs Jahren bin ich an den Punkt gelangt, an dem ich sagen kann: Ich bin ein durch und durch politischer Mensch und ich führe ein durch und durch politisches Leben. Wie bei vielen anderen Menschen in Sachsen auch, so war das Aufkommen von PEGIDA und Co. auch für mich eine Art Katharsis. In dieser Zeit habe ich dann auch angefangen für die LAG zu arbeiten. Und seitdem gibt’s für mich eigentlich keinen Weg mehr zurück. Das ist schon eine Art Lebensaufgabe für mich geworden. Aktivist for live und so (lacht).

Welches Ereignis hat dich am meisten geprägt?

Da gibt es kein Einzelereignis. Es ist eher eine Kette von Momenten. Früher waren das vor allem Situationen, in denen ich selbst Diskriminierungen oder Ausgrenzung erfahren habe. Mittlerweile prägen mich mehr jedoch die Momente, in denen ich mir meiner eigenen Privilegien – die ich als weißer Cis-Mann trotz allem noch zuhauf habe – bewusst werde. Aber vor allem sind es die kleinen Momente, in denen ich merke, dass meine Arbeit tatsächlich das Leben von Menschen zum Besseren verändert hat.

Was würdest du an der aktuellen Situation ändern wollen?

Ganz ehrlich? So gut wie alles! Da wüsste ich gar nicht, wo ich anfangen soll. LSBTTIQ* sind selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sind Teil der sächsischen Lebensrealität. Dass muss endlich in vollem Umfang anerkannt, akzeptiert und geschützt werden. Aber viel mehr noch müssen wir alle, ganz besonders aber unsere politischen Entscheidungsträger*innen, endlich anerkennen wie sehr unsere Demokratie doch bedroht ist, wie sehr Leben von Menschen bedroht ist. Ich meine nur Hanau. Mittlerweile redet kein Mensch mehr über diese rechtsterroristischen Morde. Das ist für mich unfassbar! Die Stärke einer demokratischen Gesellschaft zeigt sich in ihrem Umgang mit Minderheiten.

Damit hängt für mich auch viel damit zusammen, ob es uns gelingt emanzipatorische Kämpfe zu verbinden. Derart, wie sich Entsolidarisierung und Entfremdung immer weiter in unserer Gesellschaft fressen, bin ich der festen Überzeugung, dass uns die härtesten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen erst noch bevorstehen. Um diesen entschlossen entgegentreten zu können, sollten sich marginalisierte Gruppen mehr zusammenschließen, unterhaken und unterstützen. Wir müssen Banden bilden: untereinander, auch mit der Mehrheitsgesellschaft und gegen Vielfaltsgegner*innen jedweder Art.

Und ganz konkret muss unser Staat endlich die Frage beantworten, was ihm das alles Wert ist. Damit meine ich ganz konkrete Förderung. Es gibt so unfassbar viele gute, kompetente und engagierte Menschen in Sachsen. Die meisten leisten das alles aber ehrenamtlich, auch nicht weniger meiner Kolleg*innen. Die Förderung von Vielfalts- und Demokratieprojekten und sozialen Projekten muss massiv ausgebaut und verstetigt werden.

Welche Menschen / Einzelpersonen bewunderst du?

Ich bewundere all die Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und die kaum wahrgenommen, gesehen oder gehört werden. Das sind die eigentlichen Held*innen in unserem Land.

Was ist dein aktuelles Lieblingslied?

Keine Ahnung, wie ich mich da entscheiden soll. Da gibt’s so viel. Eine Band wird mir aber nie langweilig und bringt mir gute Laune: Portugal. The Man. Und mit einem Song wie „Feel It Still“ macht man nichts falsch. (Diesen Song findet ihr in der „herzkampf“-Playlist bei Spotify)

Wenn ich dir 5000€ schenke und du müsstest das Geld spenden, wohin würdest du es aktuell spenden?

Die würden auf jeden Fall an eines unserer Mitglieder gehen. FrauenLebenVielfalt e.V. z.B. haben über viele Jahre großartige Arbeit in Sachen lesbischer Sichtbarkeit in Dresden geleistet. Alles ehrenamtlich, ohne Förderung. Es ist gibt so viele, die Unterstützung verdient hätten. Diese Kolleginnen gehören definitiv dazu!

Gibt es Links oder Texte wo man sich näher über dich oder deine Institution informieren kann?

Ort der Aufnahme: Jahnallee, Leipzig

 

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