Lina Burghausen

Es ist wie so oft in Leipzig, man kennt sich zwar nicht wirklich, hat aber schon viel voneinander gehört. So ging es mir mit Lina und ihrem Blog „365 Female* MCs„. Ich selbst bin mit HipHop aufgewachsen und bin sehr an der gesamten Szene interessiert. Lina kämpft für eine gleiche Wahrnehmung in einer sehr stark männlich geprägten Szene. Sie schaut, wie sie verschiedene Künstlerinnen stärken kann. Was sie alles in Gang bringt und womit sie sich täglich auseinandersetzt, könnt ihr jetzt hier nachlesen: 

Wo bist du aktiv und wofür engagierst du dich?

Mein Wirkungsbereich ist in erster Linie die HipHop-Szene. Dort bin ich nicht nur seit meiner Kindheit und Jugend zu Hause, ich verdiene auch mein Geld als Musikpromoterin, Journalistin und DJ in genau diesem Bereich. Entsprechend ist das natürlich meine Bubble, in der ich versuche, etwas zum Besseren zu verändern: Seit mehreren Jahren versuche ich, in dieser nach außen hin so männerdominierten Szene nicht-cis-männliche Personen (in der Praxis bisher vor allem Frauen*) zu stärken und zu pushen. Das habe ich zunächst durch eine Aktion namens „Women with attitude“ versucht, bei der ich ein Promopaket an eine Rapperin verschenkt habe, um einer Independent Künstlerin ein paar oft nur schwer zugängliche professionelle Strukturen zu ermöglichen. Wirklich viel bewegen konnte ich allerdings mit meiner Blogreihe „365 Female* MCs“, bei der ich über ein Jahr lang täglich eine Rapperin* vorstellte. Die Reihe wird in Kürze weitergeführt, worüber ich mich sehr freue. Das Projekt wurde im vergangenen Jahr mit dem International Music Journalism Award ausgezeichnet – für mich eine Bestätigung, wie wichtig der Kampf um mehr Sichtbarkeit für Frauen* in der Musik ist.

Was sind deine Aufgaben?

Als Autorin von „365 Female* MCs“ schreibe ich kurze Portraits über Rapperinnen* aus der ganzen Welt. Ich möchte damit nicht nur zeigen, wie viele Rapperinnen* es eigentlich gibt (meine Datenbank zählt aktuell gut 1.500 Namen) und dass rappende Frauen* keine Randerscheinung sind. Ich möchte vor allem die Vielseitigkeit von Rap zelebrieren. Und da tauche ich dann auch schon mal ein in die Rapszenen in Südkorea, Brasilien oder dem Senegal. Viele Musikerinnen* haben wahnsinnig kreative Ansätze, mit der Kunstform Rap zu spielen, bekommen aber deutlich weniger Aufmerksamkeit dafür als ihre männlichen Kollegen. Meine Arbeit für den Blog hat also viel mit Recherche zu tun. Abgesehen davon gilt es aktuell, den Launch eines eigenen Online-Magazins für „365 Female* MCs“ zu organisieren. Hierfür habe ich ein phantastisches ehrenamtliches Team am Start, das mich unterstützt. Neben meinem Blog lege ich als DJ auf – inzwischen sogar auf „365 Female* MCs“ Partys, zum Beispiel in Berlin und Dortmund, wo dann nur Rap von Frauen* läuft. Außerdem spreche ich regelmäßig auf Konferenzen und Podien über HipHop, Musikwirtschaft und Feminismus.

Bei meiner Arbeit als Musikpromoterin ist es mir besonders wichtig, keinem Bullshit eine Plattform zu geben – rassistische, antisemitische und frauen*feindliche Tracks promote ich nicht. Dafür pushe ich empowernde und sozialkritische Artists wie Sir Mantis, Haszcara, Douniah und Pöbel MC.

Wofür kämpfst du?

Für eine diverse, gleichberechtigte Welt. Ich wünsche mir, dass jede Person die gleichen Möglichkeiten hat, unabhängig von Hautfarbe, Religion, Herkunft, Geschlecht. Mein Aktivismus findet vor allem in der HipHop-Szene statt, weil das der Bereich ist, wo ich zu Hause bin und entsprechend gut Einfluss nehmen kann. Aber die Benachteiligung zum Beispiel von nicht-cis-männlichen Personen beschränkt sich ja nicht nur auf HipHop, auch wenn sie hier ja oft sichtbar wird. Ich wünsche mir, dass Rapperinnen* irgendwann nicht mehr wie seltene Einhörner behandelt werden, dass sie mit derselben Selbstverständlichkeit auf der Bühne stehen wie Männer.

Wann hat dein Kampf begonnen?

Das ist für mich schwer zu sagen. Vermutlich spätestens, als ich als HipHop-begeisterte Teenagerin erstmalig mit anderen Menschen über meine Leidenschaft sprach und der Erzählung, das sei aber „ungewöhnlich, so als Frau im HipHop“ oder aber „Frauen und HipHop – das passt doch nicht zusammen“ kontra geben musste. In gewisser Weise hat mich HipHop auch politisiert – als gebürtige Dessauerin bekam ich frühzeitig von rassistischen Übergriffen im großen Stil mit. Adriano, Oury Jalloh – das sind alles Fälle, die durch Rapmusik aufgearbeitet wurden und die in mir eine starke Auseinandersetzung mit Diskriminierungsformen aller Art auslösten. All das führte dazu, dass ich schon früh versuchte, klare Kante zu zeigen – denn für mich sind Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Islamophobie, Homo- und Transphobie und der ganze diskriminierende Mist nicht voneinander zu trennen.

Welches Ereignis hat dich am meisten geprägt?

Das Ereignis, das mich in meinem Aktivismus wohl am meisten getriggert hat, war ein öffentliches Interview zwischen dem Rapper Fler und Niko Backspin auf dem Reeperbahnfestival 2018. Dort fiel die Frage, warum es denn so wenig erfolgreiche Frauen im deutschen Rap gebe, was Fler mit der mangelnden Bereitschaft deutscher Frauen, über Sex zu rappen, begründete. Ich klinkte mich damals in das Gespräch mit ein und gab Kontra. Letztlich war diese Situation die Inspiration für „365 Female* MCs“.

Was würdest du an der aktuellen Situation ändern wollen?


Wie gerne würde ich einfach all den Hass, die Vorurteile und Schubladen aus den Köpfen der Menschen radieren. Da das Utopie bleibt, wünsche ich mir zumindest mehr Solidarität und gegenseitigen Support, gerade unter Frauen* und Feminist*innen, aber eigentlich generell unter all jenen Menschen, die an einer besseren Gesellschaft arbeiten. Es gibt unfassbar viele Baustellen, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll…

Von der Musikindustrie wünsche ich mir in jedem Falle, dass sie nicht-cis-männliche Personen auf und hinter der Bühne mit derselben Achtung und Wertschätzung behandelt, wie Männer. Dass sie ihre Verantwortung darin sieht, welche Musiker*innen sie pusht. Von den Musikkonsument*innen wünsche ich mir dagegen oft ein besseres Gespür dafür, dass sie mit ihrem Konsum ja auch eine Macht haben. Und dass man ja die ein oder andere testosteronübersteuerte Playlist auf Spotify mal überarbeiten kann.

Welche Menschen / Einzelpersonen bewunderst du?

Eigentlich muss ich nur durch diesen Blog scrollen, um einen ganzen Haufen Menschen zu finden, die meine Bewunderung verdienen! In gewisser Weise findet mein Aktivismus – sofern ich von ein paar Shitstorms absehe – ja immer noch sehr in der Komfortzone statt. Ich zeige einfach nur, wie viel Talent es gibt, das tut erstmal niemandem weh. Einen riesigen Respekt habe ich vor allen Menschen, die diesen Kampf zum Teil unter Einsatz ihrer eigenen Sicherheit kämpfen. Die sich offen gegen den Rechtsruck einsetzen, gerade in Regionen, wo sie nicht unbedingt in der Überzahl sind. Die Kontra geben, auch wenn ein menschenverachtender Mob kaum zu übertönen ist. Die jeden Tag aktiv Menschen unterstützen, die nicht dieselben Privilegien haben. Denen wegen ihres Einsatzes, gedroht wird, die angegriffen werden. Ich finde es Wahnsinn, wie viel Hass Menschen ausgesetzt sind, die doch nur das Nötigste tun.

Aus meiner HipHop-Bubble gibt es eine ganze Reihe Menschen, die ich für ihren Einsatz bewundere: Die Journalist*innen Miriam Davoudvandi, Helen Fares, Malcolm Ohanwe, Salwa Houmsi, Vanessa Seifert und Laurens Dillmann zum Beispiel, dazu Künstler*innen wie Sookee, Finna, Schlakks, Sayes und so viele mehr, die klar Haltung zeigen und das nicht nur in ihrer Musik. Und auch Menschen aus der Musikindustrie wie Julia Wartmann von local heroes, ohne deren Engagement es noch deutlich weniger Chancen für Newcomer-Musiker*innen aus dem ländlichen Raum gäbe.

Was ist dein aktuelles Lieblingslied?

„Oprah“ von Rapsody und Leikeli47. Rapsodys letztes Album „Eve“ ist für mich eines der besten HipHop-Alben aller Zeiten.

(Diesen Song findet ihr in der „herzkampf“-Playlist bei Spotify)

Wenn ich dir 5000€ schenke und du müsstest das Geld spenden, wohin würdest du es aktuell spenden?

Puh, es gibt so wahnsinnig viele wichtige Themen auf der Welt, und Organisationen, die sich derer annehmen. Ein Großteil des Geldes würde auf jeden Fall an Seawatch gehen. Dass es im Jahr 2020 keine Selbstverständlichkeit ist, Menschen in Not vor dem Ertrinken zu retten, macht mich immer wieder sprachlos.

Die Frauenstiftung filia unterstützt Frauenorganisationen aus der ganzen Welt, die sich mit unterschiedlichen Themen beschäftigen. Hier würde ich auch etwas Geld lassen. Und schließlich je einen weiteren Beitrag an eine Kriseneinrichtung für Mädchen* und Frauen*, zum Beispiel papatya, und den Intact e.V. zur Bekämpfung der Genitalverstümmelung bei Mädchen senden.

Gibt es Links oder Texte wo man sich näher über dich oder deine Institution informieren kann?

Ort der Aufnahme: Innenstadt, Leipzig

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