Jakob Oehler

Politik die sich nicht aktiv zu dem Pariser Klimaabkommen bekennt und sich auch nach massiven Protesten auf der Straße kaum was ändert. Man könnte verzweifeln. Was aber im letzten Jahr alles sichtbar wurde, ist im Rückblick kaum fassbar. Jakob beschreibt hier sehr gut, was es für ihn bedeutet, ein Aktiver bei Fridays for Future in einem Ortsverband wie Zwickau zu sein. Was er für eine unfassbare Reise hingelegt hat, beeindruckt mich sehr, genauso wie seine Antworten auf meine Fragen:

Wo bist du aktiv und wofür engagierst du dich?

Mein Name ist Jakob, ich bin 17 Jahre alt und seitdem ich 14 bin, engagiere ich mich in jugendpolitischen Gruppen in Zwickau und Werdau, beispielsweise dem Zwickauer Jugendbuffet.

Seitdem Fridays For Future weltweit immer mehr ins Rollen gekommen ist, habe ich mit anderen Jugendlichen aus Zwickau beschlossen, dass wir auch in unserer Stadt eine Ortsgruppe gründen müssen. Dann passierte für mich dieses Jahr so viel Schlag auf Schlag. Und zack- fuhren wir mit 300 Menschen im März nach Chemnitz anlässlich des globalen Klimastreiktags. Im Mai hatten wir dann die erste Demo in Zwickau organisiert, zu der 800 Menschen kamen. Plötzlich hielt ich eine Pressekonferenz im Landtag zu den sächsischen Forderungen von FFF.

Seitdem gab es eigentlich nie nichts mehr für mich zu tun. Zwischenzeitlich hatten wir jeden Monat, jeden Freitag eine Aktion, und das alles von Schüler*innen organisiert.

Momentan versuchen wir, ein engeres Verhältnis zum Rathaus, also dem Stadtrat und der Stadtverwaltung aufzubauen, damit wir mit der Stadt gemeinsam Perspektiven im Klimaschutz schaffen können. Das wird deutlich schwieriger, als eine Versammlung zu organisieren und durchzuführen, aber davon hatte ich bis vor 10 Monaten auch noch gar keine Ahnung. Mittlerweile wird die Vorbereitung dafür mehr und mehr zur Routine, somit bleibt Zeit für neue, größere Projekte.

Was sind deine Aufgaben?

In unserer Ortsgruppe hat man nicht wirklich feste Aufgabe. Jede*r investiert da einfach so viel Zeit rein, wie er/ sie gerade zur Verfügung hat. Seitdem es Fridays For Future in Zwickau gibt übernehmen ich aber vor allem Aufgaben in der Koordination. Ich versuch immer so viel wie möglich zu schaffen. Das geht von Social Media Arbeit, Streikorganisation bis zur Plena-Vorbereitung und Pressearbeit.

Das ist der Fluch und Segen des Aktivismus. Es gibt immer was zu tun und das hat man auch immer vor Augen. Auf der einen Seite kann man zwar Tag und Nacht produktiv sein, das würde ich manchmal liebend gern, aber auf der anderen Seite darf man sich nicht überschätzen. Aktivismus muss nachhaltig sein. Momentan steck ich mitten in der 12. Klasse und irgendwann gehen meine Prüfungen los. Da ist es für mich manchmal ein ziemlicher Balanceakt, die Prioritäten richtig zu setzen.

Deswegen nehme ich mir aber nicht weniger vor. Mir schweben noch so einige Projekte durch den Kopf, die ich bis zum Sommer in Zwickau bzw. Sachsen organisieren will. Ich habe keine Aufgaben, ich such mir die einfach selbst.

Wofür kämpfst du?


Wenn wir auf die Straße gehen, dann fordern wir eine Klimapolitik des Handelns, anstatt leere Phrasen und Symbolpolitik. Mittlerweile ergeben sich für mich daraus immer mehr Kritikpunkte an unserer aktuellen Gesellschaft und der Art wie wir leben. Ich kämpfe für eine lebenswerte Zukunft. Das bedeutet für mich, dass wir nicht nur den Klimawandel in den Griff bekommen, sondern dass unsere Gesellschaft für alle in Zukunft lebenswert sein soll. Als wichtigsten Punkt sehe ich dabei die Mitbestimmung. Unsere Demokratie muss eine Demokratie der Gleichberechtigung, der Gerechtigkeit und der Toleranz sein. Erst wenn alle mitbestimmen und eingebunden sind, erst wenn unsere Demokratie divers ist, wird unsere Politik lebendig. Momentan ist das nicht der Fall. Es wird so viel über die Köpfe junger Menschen hinweg entschieden, die von all diesen Entscheidungen später betroffen sein werden. Ich durfte dieses Jahr an sechs verschiedenen Wahlen nicht teilnehmen. Wenn ich für das Klima auf die Straße gehe, wenn ich mich für Fridays For Future einsetze, dann setzte ich mich auch immer für das Recht auf Mitbestimmung ein. Die Jugend hat mehr Ahnung von der Politik, als die Politik von der Jugend. Es ist an der Zeit, dass wir nicht länger ausgeschlossen werden, aus Wahllokalen, Parlamenten und Ausschüssen. Ich kämpfe für eine gegenwärtige und künftige, politische Relevanz der Jugend.

Wann hat dein Kampf begonnen?


So richtig ging das für mich los, als mich meine große Schwester einmal mit zum Zwickauer Jugendbuffet genommen hat. Da treffen sich jede Woche Jugendliche, die monatlich Spätis auf die Beine stellen. Anders als in Leipzig oder Dresden haben wir in Zwickau keinen Spätverkauf. Knapp 3 Jahre lang haben wir dann immer wieder Veranstaltungen organisiert, bei denen junge Menschen zusammenkamen und an irgendeinem, sonst komplett tristen Ort, zusammengesessen haben, und diesem dann zumindest für einen Abend, Leben eingehaucht haben. Jede Veranstaltung hatte ein anders politisches oder gesellschaftlich relevantes Motto. Und so kam man dann ganz automatisch in entspannter Runde mit Politik in Berührung, ohne dass diesem Prozess große Hürden gelegt wurden.

Diese Zeit hat mich geprägt. Aktionen von Jugendlichen für Jugendliche sind niedrigschwellig, weil man sich innerhalb einer Generation viel einfacher aufeinander einlassen kann. Man weiß selbst am besten, wie die Menschen in der eigenen Altersgruppe ticken. Das konnte ich sehr gut auf mein Engagement bei Fridays For Future übertragen. Wie oft kam es denn vor 2019 vor, dass Schüler*innen Demonstrationen organisiert haben? Diese Protestaktionen sind anders, als die meisten, die davor stattgefunden haben. Diese Demos wurden von Jugendlichen geplant und das merkt man immer wieder deutlich an der Stimmung und Mentalität der Versammlungen. Diese sind bunt und friedlich, jedoch genauso fordernd und drängend. Mittlerweile hat sich die Jugend eine starke Stimme auf der Straße erkämpft, jetzt gilt es, diese in Tagespolitik zu verwandeln.

Welches Ereignis hat dich am meisten geprägt?


Da gibt es eine ganze Kette von Ereignissen. Dank meiner Eltern drehte sich bei uns zuhause schon immer viel um Politik und deshalb konnte ich mir schon immer vorstellen, in der Politik oder im Aktivismus, auch nach Studium und was da auch immer noch kommen mag, aktiv zu sein.

Dieser Plan hat sich für mich im letzten September gefestigt, als es zu Hetzjagden in Chemnitz kam und in der Folge zu wöchentliche Gegenprotest. Ab dem Zeitpunkt, als Politiker*innen davon sprachen, es hätte diese Hetzjagden nicht gegeben, war mir klar, dass ich der Politik nicht einfach zuschauen will, vor allem nicht in Sachsen. Für mich stand da fest, ich will und muss mich einbringen.

Den Entschluss hatte ich damals gefasst und so richtig konkret wurde er, als wir in Zwickau aus dem nichts am 15. März 300 Menschen in knapp zwei Woche mobilisieren konnten, die mit uns nach Chemnitz gefahren sind. Wir konnten uns selber nicht wirklich erklären, wo diese Massen dann auf einmal herkamen, aber wir wollten ab dem Zeitpunkt nicht mehr damit aufhören. Plötzlich kam ein Mann und gab uns Geld für ein Sachsenticket, ein Großteil der Menschen hatten sich Plakate und Banner gebastelt. Das war schon ein kuriosen, auf jeden Fall nicht alltägliches Bild am Zwickauer Hauptbahnhof.

Den nächsten Höhepunkt erreichten wir am 24.5., kurz vor der Europawahl. Da gingen erstmals auch in Zwickau, 800 Menschen mit uns auf die Straße, für das Klima. Die meisten waren zum ersten mal überhaupt auf einer Demonstration. Dass so viele Menschen sich in der Zeit dazu überwinden konnten, einfach auf die Straße zu gehen, ohne davor großartig politische Erfahrung gesammelt zu haben, find ich immer noch Wahnsinn.

Danach folgte kein prägendes Ereignis, sondern eine prägende Zeit, die immer noch anhält. Innerhalb eines Monats bewegt sich so viel, ich glaube ich habe noch nie so ein langes, schönes und anstrengendes Jahr gehabt

Was würdest du an der aktuellen Situation ändern wollen?


Ziemlich viel. Im Kleinen wie im Großen. Vor Kurzem ist die 25. Weltklimakonferenz in Madrid zu Ende gegangen, ohne nennenswerte Antworten auf die Probleme unserer Zeit zu finden. Deutschland hat einen völkerrechtlichen, verbindlichen Vertrag unterzeichnet, das Pariser Abkommen. Das hat die Bundesregierung einzuhalten. Das ist nichts Neues und trotzdem spielt Deutschland immer wieder den Überraschten, wenn wir mal wieder unsere eigenen, viel zu niedrigen Klimaziele nicht erreichen. Wenn ich es ändern könne, dann wünschte ich mir ein Europa, das Vorreiter sein will in Sachen Klimaschutz, und das bis 2030, anstatt ein Europa zu haben, dass mit dem Finger auf die USA, China oder Indien zeigt.

Ich wünschte mir auch, dass der gesellschaftliche Diskurs wieder vernünftiger, offener und respektvoller geführt wird. In Zeiten von Rechtsruck und steinalten Ideologien, würde uns eine Aufklärung 2.0 guttun. Alle diskutieren immer wieder, wie realistisch die Forderungen von Fridays For Future sind, dabei sind das, teilweise schon vor Jahren von der Wissenschaft, geforderte Maßnahmen.

Zu guter Letzt würde ich noch gern so schnell wie möglich meine Prüfungen hinter mich bringen. Abi und Aktivismus sind zwei Brocken, die beide sehr sehr viel Zeit beanspruchen können. Ich hätte Lust, jetzt endlich auch mal aus Zwickau rauszukommen und in einer anderen Stadt mir neue Horizonte zu suchen.

Welche Menschen / Einzelpersonen bewunderst du?


Ich kann das schlecht an einer Person festmachen. Es gibt so viele Menschen, die sich für so viele wichtige Sachen einsetzen. An sich find ich alle klasse, die ihren Arsch auch dann noch hochbekommen, wenn im Stadtrat eine AfD-Mehrheit sitz, die auch dann weitermachen, wenn sie mal alleine dastehen und sie statt Zuspruch, Hass und Hetze abbekommen.

Dank FFF konnte ich Menschen kennenlernen, die sich nach der Schule, in den Ferien und nachts immer noch für das einsetzen, wofür sie kämpfen. Das hat mich selber in letzter Zeit sehr geprägt. Mit wie viel Ehrgeiz und Perfektionismus junge Menschen diese Bewegung in Eigeninitiative stützen, motiviert mich. Dann verwaltet halt ein 15-jähriger die Finanzen und ein Mädchen, was gerade Abi macht, regelt die bundesweite Pressekommunikation für einen Streiktag.

Was ist dein aktuelles Lieblingslied?

Rusted from the Rain – Billy Talent
(Diese Songs findet ihr in der „herzkampf“-Playlist bei Spotify)

Wenn ich dir 5000€ schenke und du müsstest das Geld spenden, wohin würdest du es aktuell spenden?

5000 € bedeuten für viele kleine Jugendgruppen im ländlichen Raum eine ganze Menge. Klar, es gibt so viele Organisationen, an die ich gerne spenden würde, doch gerade in Sachsen halte ich es für extrem wichtig, Initiativen in den kleinen Städten und Dörfern zu supporten. Vor allem an den Stellen, an denen man nun schrittweise beginnt, Fördermittel abzuziehen, wie bei dem Treibhaus e.V. in Döbeln. Wie wichtig jugendliches, kommunales Engagement für Gemeinden ist, konnte ich auch bei mir in Werdau feststellen. Die „Mitbestimmer“ haben hier im letzten Jahr eine Lücke gefüllt. Von jungen Menschen – für junge Menschen. Dieses Engagement legt den Grundstein, für eine breite politische und gesellschaftliche Partizipation und sollte überall gefördert werden.

Ort der Aufnahme: Schumannplatz, Zwickau

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