Birgit Kieschnick

Ich fragte im Netz nach, ob jemand aktive Menschen in Bautzen kennen würde. Kurz darauf bekam ich eine Mail von Birgit, dass sie bereit wäre sich fotografieren zu lassen. Wir trafen uns dann zusammen mit Michelle und Annalena auf dem Kornmarkt in Bautzen und liefen einige Zeit gemeinsam durch die Stadt. Sie erzählte mir von ihrem Engagement gegen diverse Verschwörungstheoretiker in Bautzen und wie sie versucht, dagegen vorzugehen. Was sie alles in Bautzen erlebt und wie groß die rechten Strukturen in dieser Stadt sind, beschreibt sie gut. Aber lest selbst:

Wo bist du aktiv und wofür engagierst du dich?

Ich bin aktiv im Bereich Frauen, Familien (Stadtfamilienrat Bautzen e.V.) und als Elternsprecherin. Ich engagiere mich für eine familienfreundliche und lebenswerte Stadt Bautzen. Während in den letzten Jahren die Einflussnahme auf ein besseres Schulessen und die Umsetzung von Projekten, wie die Bücherzelle am Postplatz und die öffentlichen Schachbretter am Kornmarkt (im Rahmen Engagierte Stadt) im Vordergrund standen, liegt der Schwerpunkt derzeit bei der Organisation von Veranstaltungen im Bereich politische Bildung.

Was sind deine Aufgaben?

Informationen zu den genannten Themenbereichen sammeln und Verteilung und Bekanntmachung über einen Verteiler und eine Internetseite. Vernetzung mit anderen Vereinen und Engagierten.

Immer mehr habe ich den Eindruck, dass meine Hauptaufgabe in der Stadt Bautzen „Mut machen“ ist. Viele Menschen sind aufgrund der hier vorherrschenden Größe des rechten Netzwerkes und des Unwillens der Verantwortlichen in der Politik dies zu thematisieren, schier verzweifelt.

Wofür kämpfst du?

Ich kämpfe zuallererst für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Aufklärung über die demokratiegefährdende Ausbreitung von Verschwörungstheorien und Reichsbürgerideologie steht derzeit im Vordergrund.

Wann hat dein Kampf begonnen?

Mein Engagement begann schon 2012. Da wurde beim Wechsel meines ältesten Kindes aufs Gymnasium eine Klasse eingespart, obwohl genügend Anmeldungen vorlagen. Was ich da erlebte an unangemessenem Verhalten von Politikern und Verantwortlichen, ist exemplarisch für die damalige Bürgerferne und Arroganz der Politik in Sachsen. Man konnte zusehen, wie immer mehr Eltern und Lehrer sich zurückzogen. Proteste zu organisieren war kaum noch möglich. Schon die Kreisgebietsreform 2008 sorgte für einen Rückzug der Politik und Verwaltung aus der Fläche. Die Politik-/Politikerverdrossenheit nahm immer weiter zu.

Das Schlüsselereignis kam dann 2015. Ein Geschäftsmann warb engagierte Bautzener für sein Projekt „Wir sind Deutschland – Nicht ganz links und nicht ganz Pack – Nur gemeinsam sind wir stark“. Er sagte: „Dieses ~Links gegen Rechts~, das bringt doch nichts!“ In dem Gespräch mit mir sprach er Themen wie Frühsexualisierung und Genderwahn an. Da ich als Katasterbeamtin schon früh „Reichsbürger“-Schulungen besuchte, war sofort klar, was da in Bautzen anlief. Leider zeigte die Querfrontstrategie der Neuen Rechten hier große Wirkung. Mein Kampf begann.

Welches Ereignis hat dich am meisten geprägt?

Sprachlos machte mich die Situation, als ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung mich auf Arbeit anrief. Der Geschäftsführer einer großen Baufirma hatte ihn angewiesen mich vor die Bürgermeister Ahrens und Böhmer zu laden. Es ginge wohl um mein mangelndes Demokratieverständnis. Hintergrund der Geschichte: Zwei „reichsbürgernahe“ Geschäftsleute haben Einladungen für Veranstaltungen an die Schulen geschickt. Eine Veranstaltung mit dem „Silberjungen“ fand statt. Die zweite Veranstaltung mit Rainer Rothfuss konnte verhindert werden. Leider wurde mir auch vom OB Ahrens selbst zu verstehen gegeben, dass ich das „Problem“ dieser Stadt bin. Ich bin „radikal“. So ist das, wenn die einflussreichsten Geschäftsleute nach rechts abbiegen und sogar im Deutschen Reich landen. Dann ist „Reichsbürger“-Gedankengut in den Augen von CDU-Mitgliedern eben nur „eine eigene Sicht auf das Grundgesetz“. Und der SPD-OB bezeichnet lieber seine Zivilgesellschaft als „Problem“, als den wichtigsten Investor und Sponsor.

Was würdest du an der aktuellen Situation ändern wollen?

Ich würde gern sehen, dass mich Menschen nicht nur ansprechen und bestärken, sondern dass sie selber laut und aktiv werden. Frank Richter beschrieb es einmal in etwa so: „Viele warten hinter der Gardine ab“ – das gilt für 1989 wie für heute. Wenn wir aber aus der Geschichte gelernt haben und „Weimar“ sehen, ist klar erkennbar, dass man den Mund aufmachen muss. Ich höre von Geschäftsleuten, die sich nicht trauen, rechten und menschenfeindlichen Äußerungen zu widersprechen, aus Angst Kunden bzw. Geschäftspartner zu verlieren. Wir haben hier in Bautzen ein so umfassendes rechtes Netzwerk aus klassischen Neonazis, Geschäftsleuten, die Verschwörungstheorien und Reichsideologie verbreiten im Internet und in eigenen Zeitungen, rechten Christen, völkischen Pfarrern, Sekten wie der OCG, Querfront-Friedensbewegten, Druschba-Friedensfahrern, völkischen Familien, ökologisch Bewegten, aus Deutschland ausgetretenen Naturärzten, AfD, Identitärer Bewegung…Es muss offen gesagt werden: Bautzen hat ein riesen Problem. Aber nicht nur Bautzen – die Ideologen Götz Kubitschek und Jürgen Elsässer sind in ganz Deutschland erfolgreich, besonders aber in Ostdeutschland. Sie bauchmiezeln die Menschen hier als unbeugsame Helden und Avantgarde. Wer schon einmal eine Diktatur gestürzt hat, wird das ja wohl auch mit der „Merkel-Diktatur“ schaffen. Viele richten sich in ihrer Opferrolle ein, und jeder von außen hat entweder keine Ahnung oder lügt. Es ist brandgefährlich, weil gesagt wird, dass jetzt die letzte Chance zur Verhinderung der „Umvolkung“ oder des „großen Austauschs“ gekommen ist. Die verbreiteten Internetseiten bedienen den Mythos der wahren Schuldigen (jüdische Weltverschwörung) und erzeugen so im schlimmsten Falle nicht nur Rechtsterroristen sondern auch islamistische Terroristen – siehe WUT von Julia Ebner . Die Demokratie ist in ernster Gefahr. Beängstigend ist die sichtbare Hilflosigkeit der Politik, welche Michael Wolffsohn im Buch „Zivilcourage – Wie der Staat seine Bürger im Stich lässt“ treffend beschreibt. Wenn von „oben“ keine klare Linie vorgegeben wird zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit, dann führt der Aufruf zur Zivilcourage im schlimmsten Falle in den Bürgerkrieg. Den Aufstand der „Anständigen“ einfordern und gleichzeitig den „Unanständigen“ das Gefühl geben, dass auch sie in Sachsen willkommene kritische Geister sind, das geht nicht gut. Aber genau der Bürgerkrieg ist ja erklärtes Ziel von neurechten Vordenkern wie Götz Kubitschek. Genau wegen dieser „Schwammigkeit“, der fehlenden klaren Kante von oben, machen so viele den Mund lieber nicht auf oder wechseln gar die Seiten.

Welche Menschen / Einzelpersonen bewunderst du?

Zum einen die Bautzener Stadträte Grundmann und Gruhl, die den Mut hatten das Problem Bautzens endlich beim Namen zu nennen. Zum anderen die Friedensfest-Organisatoren in meiner ehemaligen Heimatstadt Ostritz. Das nächste Nazi-Festival ist ja für Anfang November 2018 angemeldet – und die Ostritzer stellen wieder eine tolle Gegenveranstaltung auf die Beine!

Was ist dein aktuelles Lieblingslied?

Ich bin durch den Gundermann-Film gerade wieder auf „ALLE ODER KEINER“ gestoßen. Außerdem sah ich auf Bildern von einer Demo in Berlin meine Lieblingsband aus den 90ern „Bobo in white wooden houses“ – da ist nicht nur der Titel „WIDE AWAKE“ ein Ohrwurm.

Wenn ich dir 5000€ schenke und du müsstest das Geld spenden, wohin würdest du es aktuell spenden?

Die Fraueninitiative Bautzen e.V. und die Engagierten Frauen, die wunderbare Projekte auf die Beine stellen. Aktuell ist von unschätzbarem Wert das Angebot von Biografie-Gesprächen . Solche Biografie-Gespräche finden auch im ost-west-forum Gut Gödelitz e.V. statt .

Gibt es Links oder Texte wo man sich näher über dich oder deine Institution informieren kann?

Ort der Aufnahme: Bücherzelle am Postplatz. Bautzen

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