Juliane Nagel

Jule Nagel ist mir schon seit sehr vielen Jahren ein Begriff. Für mich eine sehr wichtige Person in Anbetracht der sächsischen Verhältnisse. Eine Frau, die immer klar Stellung bezieht. Als ich dieses Projekt gestartet hab, war mir von Anfang an klar, sie möchte ich unbedingt fotografieren. Nach ein paar Wochen zögern, schrieb ich sie direkt an. Sie hatte schon von „herzkampf“ gehört und wäre gerne dabei. Wir trafen uns und ich war voller Ehrfurcht. Ich fotografiere sie gleich? Passiert das hier alles gerade wirklich? Nach ein paar zittrigen Sätzen meinerseits, lockerte sich die Atmosphäre schnell auf und wir konnten für ein paar Minuten durch Connewitz ziehen, um diese Fotos zu machen.

Wo bist du aktiv und wofür engagierst du dich?

Ich bin seit 1998 in der LINKEN aktiv, zuerst in Jugendgruppen, ab 2000 im von mir mitbegründeten linXXnet. Das linXXnet symbolisiert den politischen Ansatz, den ich vertrete: Offen, vernetzt, pluralistisch und bewegt. Wir sind kein klassisches Parteibüro sondern eine Schnittstelle zwischen Partei, Bewegung und den kleinen individuellen Kämpfen gegen Unrecht. Seit Ende der 1990er engagiere ich mich gegen Neonazis, Rassismus und weitere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, für soziale und politische Rechte von Marginalisierten, für Freiheitsrechte und vieles mehr.

Was sind deine Aufgaben?

Im Moment verbringe ich viel Zeit in diversen Parlaments-, Ausschuss- und Fraktionssitzungen, diskutiere dort politische Fragen, benenne Probleme und streite für linke Lösungen. Als Landtagsabgeordnete und Stadträtin bin ich explizit für Migrations-, Asyl-, Datenschutz und Kinder- und Jugendpolitik zuständig. Das sind Themen, die brennen, die vieles über den (schlechten) Zustand der Gesellschaft aussagen, aber andererseits auch Felder, auf denen so viele engagierte Menschen für Verbesserungen arbeiten.

Wenn zum Beispiel in Leipzig immer mehr Kinder und Jugendliche aus ihren Familien herausgenommen werden müssen, ist das eine dramatische Situation. Eltern verlieren die Kompetenz sich um ihre Kinder zu kümmern. Das ist unter anderem Folge einer falschen, ungerechten Sozial- und selektierenden Bildungspolitik. Ich bin in Bündnissen für eine soziale, nicht an Marktprinzipien orientierte Wohnungspolitik, für die Rechte von Geflüchteten und gegen Neonazi-Aktivitäten aktiv, melde Demos an, schreibe Texte, kommuniziere, versuche in konkreten Problemlagen zu supporten etcpp

Wofür kämpfst du?

Ganz einfach: Für ein gutes, freiheitliches Leben für alle Menschen, ohne Ausbeutung und Diskriminierung. Ein wichtiges Projekt, für das ich streite ist das Bedingungslose Grundeinkommen. Das vereint vieles, was mir wichtig ist: Eine auskömmliche Existenzsicherung für jede und jeden ohne den Zwang zur Gegenleistung.

Frei nach dem Motto:
Weil der Mensch ein Mensch ist, hat er/sie ein unveräußerliches Recht auf gesellschaftliche Teilhabe. Das BGE stärkt gleichzeitig die Freiheit der Menschen, nicht nur gegenüber dem Staat, auch gegenüber Chef*innen, sich nicht mehr um jeden Preis ausbeuten zu lassen. Und: Das BGE muss jeder Person zustehen, die hier lebt, ganz unabhängig von der Staatsbürger*innenschaft.

Wann hat dein Kampf begonnen?


Ich habe mich 1998 entschieden nicht mehr passiv zu sein. Auslöser war seinerzeit die starke Neonaziszene, die auch in Leipzig ihr Unwesen trieb. Ich konnte damals nicht verstehen warum Menschen 53 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus wieder auf aggressive Ausgrenzung von anderen Menschen setzen können. Ich habe damals eine eigene Jugendgruppe bei der PDS (Vorgängerpartei der LINKEN) gegründet und habe mit anderen begonnen eine aktive Bündnispolitik mit außerparlamentarischen Gruppen zu betreiben, zum Beispiel in einer Kampagne gegen die Videoüberwachung öffentlicher Räume, für eine emanzipatorische Schule oder gegen die akzeptierende Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen, wie sie damals in Leipzig- Grünau betrieben wurde. Schon damals war mir klar: Die Gesellschaft wird nicht durch eine Partei verändert, sondern durch das vereinte Agieren von gesellschaftlichen Akteuren.

Welches Ereignis hat dich am meisten geprägt?

Zwei sind mir im Kopf: Einerseits maßlose Polizeigewalt. Zum Ende einer großen Demonstration gegen Überwachung im Jahr 2000 in Leipzig erlebte ich mit Freund*innen einen brutalen Einsatz des bayerischen USK (Pendant zum sächsischen SEK). Diese rigorose Gewalt, die die Polizist*innen gegen wehrlose Menschen einsetzten, das werde ich nicht vergessen. Diese Szene sollte aber nicht das letzte Mal sein, dass ich Polizeigewalt erlebe.


Zum anderen: Mein erster Besuch in der Asylunterkunft in der Torgauer Straße 290 in Leipzig. Das war um 2010 herum, und ich erinnere mich noch immer an diese furchtbare Tristesse, die Personalienkontrollen am Eingang, die Abgeschiedenheit und der schlimme bauliche Zustand des Lagers. Ich hab mich gefragt in was für einem Land wir leben, wo Menschen so hausen müssen. Auch das sollte nicht das letzte Mal sein, dass ich aufgrund der Unterbringung von Geflüchteten schockiert war.

Was würdest du an der aktuellen Situation ändern wollen?

Nicht nur ein Stück Kuchen, sondern die ganze Bäckerei. Klar gilt es die kleinen Veränderungsansätze – Stichworte ungerechte soziale Sicherungssysteme, prekäre Arbeit und Erwerbsarbeitszwang, Wohnen nach Prinzipien des Marktes, die Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen, das System der Abschottung von Nationalstaaten oder aber auch der Festung Europa in die Hand zu nehmen. Ich denke aber, und darum bin ich auch in der Partei DIE LINKE aktiv, dass wir den Kapitalismus und das nationalstaatliche Prinzip in Gänze überwinden müssen.

Welche Menschen / Einzelpersonen bewunderst du?

Ich bin nicht so sehr auf Vorbilder fixiert. Aber: Ich bewundere meine Eltern, die über 25 Jahre gemeinsam und unter Einsatz ihren ganzen Kräfte einen Buchladen auf der Karl-Liebknecht-Straße betrieben haben.

Ich mag Johannes Agnoli, der als Politikwissenschaftler radikale Staatskritik geübt und dabei explizit das parlamentarische System auf den Prüfstand gestellt hat. Aber: Meine Bewunderung gilt darüber hinaus allen, die sich gegen Ungerechtigkeit und Entwürdigung wehren und andere Menschen dabei unterstützen.

Was ist dein aktuelles Lieblingslied?

“Niemand ist vergessen“ von Refpolk & Kutlu (Diesen Song findet ihr in der „herzkampf“-Playlist bei Spotify)

Wenn ich dir 5000€ schenke und du müsstest das Geld spenden, wohin würdest du es aktuell spenden?

Ich würde das dreiteilen: An die Thierbacher Straße 6 für ihren Kampf gegen Entmietung, an Mission lifeline für ein neues Boot und für die Prozesskosten für die Betroffenen des letzten Verfahrens wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Strafgesetzbuch.

Gibt es Links oder Texte wo man sich näher über dich oder deine Institution informieren kann?

Ort der Aufnahme: Basketball-Platz, Connewitz, Leipzig

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