Gregor – Sayes – Zocher

Gregor kenne ich schon seit über 12 Jahren. Wir hatten uns damals auf einer Schnitzeljagd der Satirebewegung „Front Deutscher Äpfel“ kennengelernt. Seitdem verfolge ich seinen Weg mehr über das Internet, bis ich ihn im Zuge der „No Legida“ Demos öfters auf einigen Bühnen rappen sah. Vor ein paar Wochen ging es für mich nach Köthen und dort traf ich ihn auch wieder auf dem Lautsprecherwagen an. Gregor ist ein sehr reflektierter, sympathischer Mensch, der mit seiner Musik, aber auch mit seiner Workshoparbeit, Dinge anpackt und verändert. Aber lest selbst:

Wo bist du aktiv und wofür engagierst du dich?

Eigentlich versuche ich so häufig wie möglich, aktiv in Erscheinung zu treten und mich an Veränderungen zu beteiligen und wenn dies nur in meinem „kleinen Kreis“ geschieht. Mein Engagement ist daher sehr eng mit meiner Persona verbunden und zeigt sich in verschiedenen Facetten. Ich bin nicht direkt Teil einer Initiative und betrachte auch meine Arbeit als Sozialarbeiter nicht als mein Engagement und denke, dass ich meinen Herzkampf wohl am deutlichsten mit meinem musikalischen Dasein als Rapper „Sayes“ erklären kann.

Ich rappe, also bin ich oder um es besser zu schreiben, ich bin politisch, also rappe ich auch politisch. Dabei hat meine Rap-Existenz für mich verschiedene Facetten und Auswirkungen. Da wäre erstens, worüber ich rappen und wie ich demnach etwas zum Diskurs beitragen oder mehr sichtbarer machen kann. Manchmal ist auch wichtig, worüber ich – in all meinen Privilegien – auch einfach mal nicht rappen muss oder sollte. Zweitens verstehe ich Sprache als Handlung, daher geht es nicht nur darum, worüber, sondern wie ich über Sachverhalte spreche, welche Worte ich nutze oder, ob Rap beispielsweise nur dazu dient, andere zu erniedrigen. Letzterem verweigere ich mich konsequent. Drittens trete ich häufig für Soli-Zwecke oder auf Demos auf. Das heißt, dass ich kein Geld mit meiner Musik verdiene, sondern Konzerte spiele und für wichtige und gute Zwecke, Geld sammle oder eben Demonstrationen musikalisch begleite. Selbst ein Großteil des Geldes, was wir über CDs oder Merch einnehmen, spenden wir – meine Crew Rana Esculenta –  weiter.

Neben der direkten Musik leite ich auch Rap-Workshops an und versuche Interessierte zu motivieren, sich und die eigenen Perspektiven mit Rap sichtbarer zu machen. Dies ist der vierte Aspekt und vor allem wünsche ich mir, wenn sich mehr Menschen trauen zu rappen und noch mehr Vielfalt und Diversität in dieser Form und diesen Diskurs beigetragen wird. Daher gestalte ich die Workshops selten als reine „Handwerkslehre“, sondern führe dabei mit den Beteiligten kritische und lebensnahe Diskussionen und versuche das Empowerment und die politische Bedeutung von Rap hervorzuheben.

Die Kurzform wäre also: Ich bin auf Bühnen und in Seminarräumen aktiv und überall, wo ein Beat läuft und ich engagiere mich für sichtbare Diversität.

Was sind deine Aufgaben?

Meine erste Aufgabe – und das klingt zunächst paradox als Rapper – liegt darin, viel mehr und genauer zuzuhören und aufmerksam zu sein. Weiterhin sehe ich es als meine Aufgabe meine Bühnen zu nutzen. Dies löst häufiger auch Diskussionen und Gehate aus, aber Bequemlichkeit gehört eben nicht zu meinem Aufgabenbereich.

Musik und insbesondere Rap ohne Aussage, ohne versuchten Tiefgang ist mir oftmals sogar zuwider und ohne damit andere Musikschaffende zu diskreditieren, versuche ich diesem Ideal nachzukommen. Ein besonders Werk ist für mich „Schiff Bruch“ meiner Crew Rana Esculenta. In diesem Song und Video wird mit einfacher Sprache und Bildern die dramatischen Konsequenzen aus dem Slogen und Denken des politischen Trugschluss „Das Boot ist voll“ in einer fiktiven Geschichte dargestellt.

Aber auch unabhängig von Songs, habe ich als Rapper eine Verantwortung. Menschen hören mir zu und dank Mikrophon bin ich auch lauter als das Publikum und dank Bühne werde ich besser gesehen. Daher gilt es für mich, nicht nur von vielen Dingen zu sprechen, sondern diese auch umzusetzen. So kam es auch schon dazu, dass Neonazis, welche sich – aus welchem Grund auch immer – zu einem Konzert meiner damaligen Band – verlaufen hatten, von mir von der Bühne aus aus der Veranstaltungsräumlichkeit verwiesen wurden.

Wofür kämpfst du?

Für eine gerechtere, reflektiertere, rücksichtsvollere und zugleich progressivere Gesellschaft, in der Menschen zur Verwirklichung ihrer Bedürfnisse in kommunikativem Austausch gehen und den Diskurs wohlwollend und vor allem unter der Prämisse der absoluten Wertschätzung allen Lebens bereichern.

Ich kämpfe dafür, dass mehr Sichtbarkeit für das Übersehene und die Übersehenen möglich ist. Ganz konkret kämpfe ich auch für eine facettenreicheren und inhaltsschwereren Rap und gesellschaftlichen Diskurs.

Wann hat dein Kampf begonnen?

So genau kann ich das nicht sagen. Ich glaube die Jahre 2004/2005 haben mich sowohl politisch als auch musikalisch enorm geprägt und ich meine, bereits seit Kindeszeiten ein starkes Gerechtigkeitsbedürfnis zu haben. Ab 2004 war ich auf vielen Demos aktiv und hab mit verschiedenen Gruppen, unter anderem als damaliger Teil der Satiregruppe „Front deutscher Äpfel“ irgendwie versucht den Nazis, die Christian Worchs Einladungen folgten, etwas auf kreative Art und Weise entgegenzustellen.

Den gemeinsamen Kampf mit meiner Rap-Crew zusammen kann ich genau auf das Jahr 2014 datieren, da die Gründung meiner Crew auf den Song „Das Problem heißt Rassismus“ und auf eine Gegendemo zu einen Naziaufmarsch zurückzuführen ist.

Welches Ereignis hat dich am meisten geprägt?

Ein guter Freund ist 2012 Opfer von Polizeigewalt geworden und hat dabei irreparable Schäden erlitten. Es gab einen engagierten Kern, der viel Energie hineingesteckt hat, dass der Täter benannt wird, aber alle anderen Kolleg*innen waren plötzlich enorm vergesslich und auch Videomaterial verschwand spurlos. Diese Geschichte brachte mich dann auch dazu, meinen ersten „wirklich“ politischen Song zu veröffentlichen, der sich genau mit dieser Geschichte auseinandersetzt.

Mittlerweile gibt es so viele Ereignisse, die mich betroffen machen und da erscheinen mir die ein, zwei selbst erlebte Attacken durch Nazis eher weniger prägend.

Was würdest du an der aktuellen Situation ändern wollen?

Sehr vieles.

Ich denke nicht, dass ich es auch nur annähernd weiß, wie es „besser“ wäre und wenn ich ganz ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass ich nicht daran glaube, dass es möglich ist, gesellschaftliche Strukturen wie Rassismus oder auch Sexismus in naher Zukunft zu überwinden. Was ich mir aber wünsche, sind Empathie, Selbstkritik und Austausch und weniger Arroganz und Stolz. Oftmals wird herbeigeträumt, dass eine Person doch gar nicht rassistisch oder ähnliches wäre und ich frage mich wie das überhaupt in der aktuellen Welt möglich sein soll, in der wir Tag für Tag Stereotype, Hierarchien und Abwertungen beigebracht bekommen und selbst anderen beibringen. Ich wünsche mir, dass der Blick dafür wächst, wie die Gesellschaft funktioniert und diese ganzen gruppenspezifischen Menschenfeindlichkeiten nicht nur individuelle, sondern strukturelle Phänomene sind. Ich wünsche mir gleichzeitig, dass der Blick für andere wächst und damit bei allen ein intrinsischer Wunsch einhergeht, gegen dieses Phänomen vorzugehen.

Da gibt es noch etwas, was ich an der aktuellen Situation ändern will. Immer mehr Stimmen werden wieder laut, die rechts und links gegenüberstellen. Menschen, die sich gegen rechts positionieren und zeitgleich, sich nicht als links bezeichnen wollen oder in einem Atemzug auch die linke Seite kritisieren und als genauso gefährlich darstellen, heben dann plötzlich dafür Demokratie als das wahre Ideal hervor. Diesen Rechts-Links-Vergleich finde ich absolut verkürzt, falsch und gefährlich und um mal einen schlauen Menschen in meinem Umfeld zu zitieren: Um wirklich demokratisch zu sein, muss Mensch zunächst antifaschistisch werden.

Welche Menschen / Einzelpersonen bewunderst du?

Es gibt eine Vielzahl von Menschen, die ich bewundere, besonders in meinem engen Freund*innenkreis. Allerdings reagiere ich auch sehr empfindlich auf die Idee eines Vorbilds, da ich mir vielmehr Autonomie und Individualität von Menschen wünsche. Dennoch freue ich mich sehr über „Role Models“ außerhalb der üblichen Normativität, die die Vielfalt erhöhen und vor allem mehr als nur an der Oberfläche kratzen.

Was ist dein aktuelles Lieblingslied?

BSMG feat. Amewu – Geschichtsunterricht
(Diesen Song findet ihr in der „herzkampf“-Playlist bei Spotify)

Wenn ich dir 5000€ schenke und du müsstest das Geld spenden, wohin würdest du es aktuell spenden?

Ich hab letztes und dieses Jahr ein paar Konzerte und Freestyle-Jams organisiert und dabei haben wir Geld für „Sea-Watch“ gesammelt. Es ist traurig, dass deren Arbeit so notwendig ist und über Leben und Tod entscheidet. Genau deswegen würde ich auch dorthin 5000 € und mehr spenden, damit die Zahl der Toten zumindest etwas sinkt, denn Europa hat das Leben eines Menschen als Grundrecht in diesem Bezug ganz bewusst verdrängt.

Gibt es Links oder Texte wo man sich näher über dich oder deine Institution informieren kann?

Am stärksten präsentiere ich mich in meiner Musik nach außen, Informationen inkl. Songtexte von mir und meiner Crew Rana Esculenta sind hier einzusehen und anzuhören:

Sayes
https://www.facebook.com/SAYESmusic/
https://www.instagram.com/sayesrap/
https://sayes.bandcamp.com/releases

Rana Esculenta
https://www.facebook.com/ranaescu/
https://www.instagram.com/ranaesculenta/
https://ranaesculenta.bandcamp.com/
https://www.youtube.com/channel/UCoyy93S3FqGuh91B7c0HeDg

Ort der Aufnahme: Hauptbahnhof, Leipzig

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