Wo bist du aktiv und wofür engagierst du dich?
2014 hatten ein paar junge Menschen aus Chemnitz die Idee, eine Art Jugend-Stadtrat, sprich ein Gremium zu bilden, welches parallel zum Stadtrat arbeitet und ausschließlich jugendrelevante Themen bearbeitet. Die Traumvorstellung war, dem Stadtrat irgendwann mal Empfehlungen zu Abstimmungen in genau den Bereichen geben zu können. Da wir aber überparteilich und attraktiv (d.h. nicht gebunden an eine zum Teil alte und lahme Verwaltung) sein wollten, haben wir das ‚Chemnitzer Jugendforum‘ gegründet. Dort ging es unter anderem um Nachtbusse, Pfandringe an Mülleimern und Brech-Behältnisse in Bussen. Und wem letzteres vielleicht komisch vorkommt; Ich bin sicher, jeder* freut sich, wenn der betrunkene Kumpel in einen Eimer, statt einem auf die Füße bricht. Und der Feierabend des Busfahrers* wäre auch weniger in Gefahr. Das Chemnitzer Jugendforum gibt es auch jetzt noch und wird sogar mittlerweile mit Bundes- und Stadtmitteln gefördert, sowie von coolen Menschen weiter betrieben und dabei kümmert es sich nicht nur um betrunkene Jugendliche auf ihrer Heimfahrt im öffentlichen Nahverkehr.
Ein wichtiges Anliegen wurde mir dann die antirassistische und antifaschistische Arbeit. Es gab einfach viel zu tun und verhältnismäßig wenige, die wirklich dafür brennen. Spannend war für mich also, ob man solche Gremien, wie das Bündnis Chemnitz Nazifrei, nicht irgendwie sinnig mit den eigenen Kompetenzen unterstützen kann. Das tat ich und hatte das Gefühl, es macht Sinn. Für uns war immer das wichtigste Thema der 5. März – der Tag der Bombardierung Chemnitz – als die Alliierten 1945 Deutschland vom Faschismus befreiten. Zumindest oberflächlich. Neonazis nahmen diesen Tag immer wieder zum Anlass, geschichtsrevisionistische und falsche Ansichten auf die Straße zu tragen. Nachdem die Aufmärsche der Nationalisten mehrere Jahre hintereinander erfolgreich blockiert wurden, wurde seit 2016 keine rechte Veranstaltung am 5.3. mehr angemeldet – ein Riesenerfolg für alle antifaschistischen Kräfte der Stadt.
Doch das war nicht das Einzige was uns beschäftigte. Ebenso wichtig war und ist uns der alltägliche Kampf gegen rassistische, neonazistische oder allgemein menschenverachtende Ideologien. Begonnen im Jahr 2014 gab es vermehrt Neo-Nazi-Auftritte und rassistische Kundgebungen in der Nähe von Asylbewerberheimen, nicht nur in Chemnitz. Wir haben uns dem immer wieder aufs Neue in den Weg gestellt und zugleich versucht, politische Bildungsarbeit zu leisten um Vorurteile abzubauen respektive gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Mittlerweile kennt die Stadt Chemnitz wohl fast jeder* europaweit. Wir hätten uns sicher auch gewünscht, dass dies erst der Fall gewesen wäre nachdem wir Europäische Kulturhauptstadt geworden sind, doch die ‚Kultur‘, die hier in Erscheinung tritt, ist eher bedrohlich. Dass es Neonazis und rechtsradikale Strukturen in Sachsen gibt, wissen wir nicht erst seit August 2018, sondern schon viel länger. Sie mussten erst solch eine Kraft entwickeln, um politische Entscheidungen von angeblichen Volksparteien zu beeinflussen, Journalismus einzuschränken, eine Staatskrise um einen unfähigen Verfassungsschutz-Präsidenten auszulösen und eine Menge von Menschen zu töten, bevor die „Mitte“ hinsieht.
Die krude Vorstellung des von Biedenkopf-beschworenen Extremismus-freien Sachsen wird wohl nie aus den Köpfen einiger Entscheidungsträger verschwinden.